Wenn er sitzt, dann beisst er nicht...


Ohne Frage. Es gibt eine Vielzahl Tricks bzw. Kommandos die unweigerlich zum Bild eines gut erzogenen Hundes gehören. Sitz, Platz, Bleib sind dabei die typischsten Vertreter. Erweitert wird das Ganze durch das beliebte "Pfötchen", "Bring", "Männchen" usw. Gegen Tricks ist nichts einzuwenden, bieten sie doch Spaß für Mensch und Hund, als auch Kopfarbeit für Letzteren.

Aber auch wenn die Allgemeinheit "Was kanner denn?" fragt,  um einen Hund schnell zu beurteilen, sagt die Menge der gelernten Tricks rein gar nichts über die Alltagstauglichkeit des Hundes aus. Ein Hund kann in der passenden Umgebung alles von "Sitz" bis "stell dich tot" und dir am Ende trotzdem die Mittelkralle zeigen, wenn es um Leinenführigkeite geht. Ein Hund kann Pfötchen geben und im nächsten Moment mit dir am anderen Ende der Leine den Nachbarshund umrupfen. Auch wenn der Grundgehorsam so fest definiert scheint. Wenn wir ehrlich sind, braucht ein Hund weder das Kommando Sitz noch Platz noch Pfötchen. Er braucht die Erkenntniss, dass der Mensch die Verantwortung wahr- und übernimmt. Ihn durch die Welt führt und zwar nicht im Sinne eines bekloppten Alpha-Proleten, sondern als logische Konsequenz, die aus einer Fürsorgepflicht entsteht. Und die haben wir unseren Hunden gegenüber. Denn anders, als sie, wissen wir im besten Falle, wie wir uns in dieser chaotischen Welt zu bewegen haben (damit ist hierzulande gemeint, andere Orte, andere Hundehaltung).  Dies funktioniert zum Beispiel über "Achte auf mich, ich hab einen Plan". Blöd ist es, wenn der Hund keine Ahnung davon hat, dass es klug wäre mal auf den Menschen zu gucken und in einem Gerüst von Kommandos durch die Welt geführt wird. Warum? Weil ein Kommando nichts weiter ist, als die Ausführung einer zuvor festgelegten Form. Ich sage und du machst. Wenn es scheiße läuft habe ich einen Hund, der zwar voller Freude seine festgelegten Formen runterfeiert, aber daraus nichts mitnimmt. Ein Beispiel. Stell dir vor, du hast einen Chef/Partner, der unentwegt Dinge von dir verlangt und es springt was für dich raus. "Setz dich." - 5€. "Geh' in den Raum."- 5€. "Mach den Rechner an." - 5€. Klar gutes Ding, wer freut sich nicht über leichtverdiente 5€. Aber was bleibt auf der Strecke? Das Miteinander. Du hast keine Ahnung, wer dein Gegenüber ist. Vielleicht hast du eine Vermutung, aufgrund des Auftretens. Aber zwischen all den Kommandos ist nichts, woran du festmachen könntest, in welcher Beziehung ihr zueinander steht. Du gehst ansonsten auch einfach deinem Ding nach, denn solange nichts gesagt wird, kannst du ja machen was du willst. Spinnen wir weiter. Diese Situation besteht für eine lange Zeit. Du bist mit diesem Menschen zugange, der benennt dir Handlungsanweisungen und du machst es, 5€ und so. Dann kommt ein anderer dazu. Neuer Kollege zum Beispiel. Du hast dich zwischen den ganzen Handlungsanweisungen gar nicht damit auseinander gesetzt, wie eigentlich mit anderen Menschen umgegangen wird. Bist dir unsicher. Oder findest den anderen einfach kacke. Und zeigst deinen Missmut. "Waaa, wer bist du denn?! Was, was..." Chef sagt: "Setz dich." Machste dann auch, hast du ja immer so gemacht. Was ist der Haken an der Sache? Lernst du in diesem Moment, wie du mit solchen Situationen eigenständig umgehen kannst? Oder sitzt du in der Weltgeschichte rum und alles um dich herum geschieht einfach so.

Was wäre, wenn dein Chef sich von Anfang an mit dir vertraut gemacht hätte. Sich vorgestellt hätte. Dir gezeigt hätte, was er von dir verlangt, was er nicht so gut findet. Dass er verlässlich und kompetent ist, in dem was er tut. Dass du dich ausprobieren kannst und eigene Erfahrungen machen kannst. Neue Kollegen anmotzen nicht drin ist, du dich aber gerne an ihn wenden kannst, wenn dir was auf den Sack geht oder du Sorgen hast. Und neben 5€ für Handlungsanweisungen auch noch soziales Feedback bekommst.  Das Chefbeispiel ist hier nur gewählt, weil es für die meisten in einer Beziehung sicher noch viel unvorstellbarer ist, dass ohne eine Vertrautheit einseitig Kommandos mit der Erwartung zur Ausführung und gegen Bezahlung geäußért werden.  Oder überhaupt eine Beziehung zu jemandem eingegangen wird, ohne jegliche Wissen über den anderen. (Rotlichtbranchen ausgenommen).

Zurück zum Hund. Manche Kommandos sind ohnefrage ein wichtiges Hilfsmittel in der Hundeerziehung. Denn das, was ich gerade als negativ  beschrieb, kann für so manchen Hund ungemein hilfreich sein. Zum Beispiel, weil er eben noch keine Ahnung hat, was er in bestimmten Situationen tun soll und ihm so eine Idee gegeben werden kann, was er tun soll. Oder weil es im Alltag einfach praktisch ist zu sagen: "Setz dich hier hin und warte ab, bis ich sage, wie es weitergeht." Oder zu wissen, dass der Rückruf so bombenfest sitzt, dass der Hund gar nicht mehr überlegt, ob er kommt oder nicht. Wie immer im Trainingsthema gilt auch hier: Was nutze ich wo, wie und für wen? Wenn die Beziehungsarbeit zum Hund vernachlässigt wird und sich alles auf Kommandos aufbaut, kann es im schlimmsten Falle dazu kommen, dass ein Hund nur noch "funktioniert", weil er ein Kommando nach dem nächsten bekommt. So erlebt bei einem Pensions-Labrador-Gast, der nach vorn in die Attacke ging, sobald man sich dem Zwinger näherte. Und zwar offensiv aggressiv, wie aus dem Lehrbuch. Händelbar, wenn man "Sitz" sagte. Denn das war von der Pieke auf eintrainiert, sodass der Hund immer noch deutlich angepisst, aber eben sitzend, die Möglichkeit einräumte den Zwinger zu öffnen und den Futternapf entweder reinzustellen oder rauszuholen. Klar, praktisch als Pensionsbetreiber, aber um dieses Verhalten zu trainieren? Auch hier gilt: Wenn ich es mit einem Hund zutun habe, bei dem ich am Besten damit fahre, durch ein ausgeführtes Kommando die Situation zu entschärfen, gut ist. Das setzt aber auch voraus, dass alles andere soweit läuft und ich nach dem Motto handle "Das ist händelbar und verschlimmert sich dadurch nicht"

Eine andere Seite ist zum Beispiel der dreijährige Hütehundmischling, der seit Welpenalter auf Ballwurf"spiele" angefixt wurde. Begründung des damaligen Trainers: "Wenn er nur doll genug auf den Ball abgeht, einfach den Ball in die entgegengesetzte Richtung von was Blödem werfen, dann geht er dem hinterher und lässt alles Blöde sein." Ja, er hat Recht. Kann man Frauchen auch keinen Vorwurf machen, dass sie es das Hundelebenlang genauso gehändelt hat. Es funktioinert. Es funktioniert so gut, dass dieser Hund, wenn er aus der Fixierung seines Balls  aufwacht und auf einmal (z.B. im Freilauf) einen Hund neben sich stehen hat, genau null Ahnung hat, was er damit anfangen soll. Der nie die Möglichkeit hatte, sich mit Aussenreizen auseinanderzusetzen  und zu lernen, wie man sich "richtig" verhält. Denn sobald etwas kam, womit er sich vielleicht mal hätte auseinandersetzen müssen, flog der Ball. (Was unstrukturiertes Ballspielen für Probleme mit sich bringen kann ist nochmal ein anderes Thema).

Die große Frage, die sich hier stellt ist doch eigentlich: Pflegen wir Beziehung und haben Spaß mit Kommandos, oder pflegen wir Kommandos und ignorieren Beziehungsarbeit? Tricksen zum Vervollständigen der positiven Erlebnisse zwischen Hund und Mensch ist eine tolle Sache. Tricksen aber als einziges positives Erlebnis zu nutzen und ansonsten der komische Partner sein, der zwar Geld hinschmeisst, aber nichts über sich preisgibt, ist ziemlich traurig für den Hund.

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